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Kleine Flitzer im Tierpark Hagenbeck der 50er Jahre. Die an Seifenkisten erinnernden Rennwagen gehörten zu Hamburg wie das Ohnsorg Theater und der Kiez. Da kommen bei Menschen der älteren Generation Erinnerungen auf. Erinnerungen an eine wunderbare Zeit. An ein Deutschland im wirtschaftlichen Aufbruch. An Zeiten, in denen alles möglich schien, und vieles machbar war.
Die weißgrauen Miniautos im Tierpark Hagenbeck sind fest ins Gedächtnis eingebrannt. Die runden Formen, die abstehenden Räder, das Speichenlenkrad und der Tachometer. Im Laufe der Jahre sollen ca. drei Millionen Menschen mit diesen knuddeligen Gefährten ihre Runden auf der Rennbahn im Tierpark gedreht haben. Die jungen Rennkünstler nannten den Kurs „Avus“, dabei die legendäre Berliner Strecke im Sinn.
Tierpark Hagenbeck und die historischen Miniautos
Es gab fünf dieser rollenden Stahlblechkarossen auf dem Renn-Oval des Tierparks. Wurden die Mini-Boliden in den Anfangsjahren noch von einer Holzrampe aus mit Muskelkraft gestartet, wo junge Aushilfskräfte, meist Studenten, die Stahl-Seifenkisten nach Ende der Fahrt wieder an einem Seil zu ihrem Ausgangspunkt für die nächsten Rennfahrer hochzogen, kam 1952 Motorkraft ins Spiel.
Mit 110 Kilogramm waren die Stahlkarossen zwar keine Leichtgewichte. Mit einem 1,2 PS starken Zweitakt-Mopedmotor jedoch „sausten“ die schmalrädrigen Karren mit gut 10 Kilometern pro Stunde über die Piste. Sie erreichten gar knapp 20 kmh, mit entsprechendem Rückenwind. Die Geschwindigkeit war nebensächlich. Wichtiger und vor allem spannender war, dass man nun endlich „richtig“ mit den kleinen Autos fahren konnte.
Stahlkarossen mit 1,2 PS starken Zweitakt-Mopedmotor
Der Motor leistete jedoch mehr, wie sich Carl Claus Hagenbeck gerne erinnert. „Und abends nach Toresschluss holten wir die Minis aus dem Schuppen und bretterten los“. „Bretterten“, denn mit gelöster Drosselschraube machten die Fahrzeuge sogar 30 Sachen. Auch wenn der Kurs fast ausschließlich aus Linkskurven bestand, ein famoser Spaß nach Feierabend war garantiert.
So zog es damals in der Nachkriegszeit viele Kinder immer wieder in der Tierpark. Nicht überwiegend der Tiere wegen, selbstredend. Für ein paar Groschen konnten sich die jungen Autonarren hinters Lenkrad klemmen und über die Piste sausen. Der eine oder andere kam sich zweifelsohne dabei vor wie Juan Manuel Fangio, Alberto Ascari oder auch noch der deutsche Pilot Graf Berghe von Trips.
Das Ende der Minirennfahrer-Ära war unausweichlich. Von 1948 bis 1972 drehten die Seifenkisten ihre Runden auf dem Gelände des Tierparks. Dann kam das Aus der kleinen Rennautos. Die fünf Wagen wurden vorerst in den Futterkammern im Tierpark Hagenbeck eingelagert. Danach wurden sie vom Museum für Arbeit in Barmbek aufbewahrt.
5 + 1 – das fehlende sechste Gefährt
Gebaut wurden die fünf Autos von Cuno Bistram, einem gebürtigen Kieler, der eigentlich als gelernter Konditor fachfremd war. Nichtsdestotrotz machte er sich mit der kleinen Automobilproduktion auf dem Hagenbeck-Gelände selbständig. Die Fahrzeuge, die nach dem Vorbild von Rennwagen der damaligen Zeit als Monoposti gebaut wurden, entstanden in einer Autoschlosserei in Eimsbüttel.
Fast völlig in Vergessenheit geraten ist die „Nummer sechs“ der Autoserie. Wohl weil es nicht in Verbindung mit dem Tierpark Hagenbeck stand. Es war sozusagen der große Bruder der Hagenbeck-Fünflinge, in der Farbe gelb gehalten. Bistram verpasste dem Gefährt einen 6,7-PS-Motor, womit eine atemberaubende Spitzengeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern erreicht wurde. Dieser Einsitzer erhielt sogar eine Straßenverkehrs-Zulassung in der britischen Zone.
Dieser größere Prototyp hat eine regelrechte Odyssee hinter sich. Nachdem es erst in eine Ausstellung nach Tremsbüttel kam zog es von dort weiter in das Automuseum Hillers am Hamburger Hauptbahnhof. Irgendwann danach folgte eine Reise über den großen Teich, nach Madison in den Vereinigten Staaten. 2014 wurde die „Heimkehr“ in die Wege geleitet. Tierpark-Chef Carl Claus Hagenbeck ersteigerte das legendäre Auto bei Ebay USA.
Somit konnte das vermisste sechste Fahrzeug der so genannten „Cuno Bistram Autos“ den Weg zurück nach Hamburg antreten. Per Schiff, nicht auf den eigenen vier Rädern wohlbemerkt. Obwohl es rein technisch durchaus möglich gewesen wäre. Denn – oh Wunder – nach Jahrzehnten sprang der Ilo-Motor auf Anhieb ohne zu mucken wieder an. Deutsche Automobil-Wertarbeit halt.
Bistram Autos wieder im Einsatz
Ehrenamtliche Idealisten haben dafür Sorge getragen, dass die Vehikel in einer Fabrikhalle in Lohbrügge sorgsam verwahrt wurden. Trotz Baujahr 1949 sind die Rennwagen verblüffend gut erhalten. Die Oldtimer werden Schritt für Schritt fachgerecht restauriert. Sie sollen wieder eingesetzt werden, jedoch nicht auf der Rennpiste. Die Aktion „yourmove“ („Deine Bewegung“) will junge Menschen wieder für klassische Ausbildungsberufe interessieren.
Überraschung am Rande: Als die Töchter des Konstrukteurs, Monika und Gesine Bistram, die Fahrzeuge 2012 an das Museum der Arbeit in Hamburg übergaben stellte sich heraus, dass auch das fünfte Auto noch existierte. Es ist ebenfalls in das Restaurierungsprogramm aufgenommen worden. Restauriert werden die fünf Automobil-Unikate in Kooperation zwischen dem Museum der Arbeit und der yourmove-Initiative.
In einem mehrjährigen Prozess werden die Klein-Boliden restauriert. Nikolas Aichele, Projektleiter von yourmove, erläutert hierzu: “Wir haben uns darauf verständigt, die einmalige historische Chance zu ergreifen, an den fünf gleichartigen Fahrzeugen verschiedene Erhaltungsziele zu erproben und miteinander zu vergleichen.” Das bedeutet in der Praxis:
Fahrzeug A verbleibt im “Scheunenfundzustand”
Fahrzeug B wird restauratorisch konserviert
Fahrzeug C wird teilrestauriert
Fahrzeug D vollrestauriert nach handwerklichen Herstellungsmöglichkeiten von 1948
Fahrzeug E wird einer Vollrestaurierung nach heutigen Möglichkeiten unterzogen.
Da die Grundidee von yourmove ist, junge Leute an klassische technische Berufe heranzuführen, werden im Restaurierungsprozess weitere Prototypen und Nachbauten entstehen. Zu den fünf zu restaurierenden Fahrzeugen werden zwei weitere hinzukommen. Ein unmotorisiertes Gefährt wird mit den damaligen Techniken von 1948 nachgebaut werden. Ein weiteres mit modernen Techniken konzipiert werden, mit Elektromotor und Solarantrieb. Sozusagen ein Zukunftsfahrzeug „back to the future“.
Die beiden Ingenieure Nikolas Aichele und Werner Krassau, die 2007 den gemeinnützigen Verein „yourmove“ gründeten, haben also große Pläne mit den kleinen Flitzern. Die Stahlblechkarossen mit den schmalen Reifen dienen nun einem hehren Zweck: Die Leidenschaft für klassischen Autobau bei jungen Menschen zu entfachen. Nicht nur junge Menschen sollen in den Bann gezogen werden.
So sollen die kleinen Oldtimer auch für Seminare der Erwachsenenweiterbildung, für Schulprojekte und Workshops genutzt werden. Wer wissen will, was solide Handwerkskunst und Hamburger Wertarbeit mal war, sollte sich einen solchen Workshop nicht entgehen lassen. Zielgruppen sind Schulen und Lehrer ab Klasse fünf sowie Auszubildende, die Interesse an klassischem Handwerk und Restaurierung der Oldtimer haben.
„Yourmove“-Geschäftsführer Werner Krassau will damit auch der gegenwärtigen Situation von Lehrlingsmangel in handwerklichen Berufen entgegensteuern. Aus seinen Worten hört man die volle Überzeugung seines Projektes heraus: „Es handelt sich um prachtvoll anzusehende, emotionsgeladene Fahrzeuge, die man prima für die Ausbildung junger Menschen nutzen kann“. Daran besteht kaum Zweifel.
Der Zeitpunkt ist hervorragend gewählt, denn immerhin werden die Miniaturflitzer im Jahre 2018 dann 70 Jahre alt. Das wird ein Jubiläum mit großartigem Rahmenprogramm.
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